Wir sind viele – Verkündigung ist kein Solospiel

Es war einmal eine Zeit, da gab es in der Altstadt drei Pfarrstellen. Mitte der 70er Jahre wurden die Gottesdienste von Pfarrerinnen und Pfarrern gehalten, unterstützt vom Superintendenten, Hilfs- predigern und Vikaren. In der gesamten westfälischen Landes- kirche wurden viel mehr Pfarrerinnen und Pfarrer ausgebildet als Pfarrstellen vorhanden waren. Doch auf den unbeschränkten Zugang zum Pfarrdienst folgten rigorose Einschnitte, die die Zahl der Neuzugänge stark begrenzten. Derzeit beginnen die gebur- tenstarken Jahrgänge in den Ruhestand zu gehen. Die Pfarrinnen und Pfarrer werden weniger.

Kritiker meinen, dass der Pfarrermangel der eigentliche Grund ist für die Wiederentdeckung des „Priestertums aller Getauften“, das seit Luther für die Evangelische Kirche eine große Rolle spielt – jedenfalls theoretisch. Denn praktisch haben wir uns damit immer etwas schwer getan, wenn Laien Predigten hielten, das Abendmahl austeilten oder Menschen tauften.

Prädikanten und Prädikantinnen als Bereicherung

210810 gottesdienstEs mag sein, dass erst veränderte äußere Rahmenbedingun- gen die Kirche und die Gemeinden zum Nachdenken bringen. Vielleicht auch zur Besinnung auf die biblischen Grundlagen und die Anforderungen der Zeit. Im Jahr 2010 wurde in Westfalen das Prädikantengesetz neu geordnet. Der Grundgedanke ist, dass Prä- dikantinnen und Prädikanten Pfarrerin und Pfarrer nicht ersetzen oder vertreten. Und so kann es auch schon einmal vorkommen, dass in der Altstadtgemeinde eine Prädikantin oder ein Prädikant den Gottesdienst hält und der Pfarrer als Gemeindeglied unter der Kanzel sitzt. Um sich das Wort Gottes von einem Menschen zusprechen zu lassen, der in ganz anderen Lebenszusammenhän- gen steht, einen anderen Beruf und andere Erfahrungen hat.

So verstanden sind Prädikantinnen und Prädikanten gerade kein Ersatz, sondern eine Bereicherung für die Gemeinde. Auch wenn KGBOAJubiText-Bild-Tafeln_06.indd 6 für das eine oder andere Gemeindeglied der Anblick eines Laien im Talar oder die Austeilung des Abendmahls ohne Pfarrer zu Beginn etwas ungewohnt war. Doch am Ende gilt: Es kommt nicht auf das Amt an, sondern auf die Person, die dieses Amt füllt.

Mit Christian Polenz, Cornelia Crummenerl und Alexander Drechsel hat die Altstadtgemeinde inzwischen drei Menschen gewonnen, die den Prädikantendienst ausüben. Sie wurden vom Presbyterium vorgeschlagen, ausgebildet, begleitet und unterlie- gen der Dienstaufsicht des Superintendenten. Durch ihren Dienst sind viele spannende Fragen entstanden: Welche Wirkung hat der Talar auf die Gemeinde? Was unterscheidet den Dienst von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Gemeinde? Welche Erwartungen wer- den an das Pfarramt gerichtet und vieles mehr.

Es war einmal – so beginnen Märchen. In Wirklichkeit ist und war es nie allein ein Pfarrer, der als Solist im Gottesdienst wirkt. Küster sorgen für einen würdigen Gottesdienstraum, Kantoren verkünden durch die Musik das Evangelium, Presbyterinnen und Presbyter wirken im Gottesdienst mit. „Viele Gaben, ein Geist“, heißt es in der Bibel. Unsere Prädikanten sind eine echte Bereiche- rung für unsere Gemeinde.

Lars Kunkel